Kurzgeschichte von Cornelia Sandrock

KAMPF DES VERSTEHENS

Eine Erzählung zu den Skulpturen “Wenn Richten, … dann Aufrichten”

„Schon wieder ein überfallenes Dorf? Gibt es Verluste zu beklagen?“
„Keine Toten, aber Verletzte. Und es wurden einige der jungen kräftigen Männer verschleppt, mein Herr, wie immer.“

Felgadas blickte dem Boten betroffen entgegen. Die Überfälle häuften sich in letzter Zeit. Allerdings ahnte er, woher die neuerliche Aggressivität herrühren mochte. Es war sein Vater, der vor erst wenigen Monaten unbarmherzig hart gegen die angrenzenden Lande geschlagen hatte. Damals waren viele gefallen. Brejenneg, der feindliche Fürst, hatte es gewagt, in den immergrünen Wäldern der Dunklen Höhen, in übertriebenem Maße zu jagen. Seither war recht wenig Wild anzutreffen, zumindest für dieses Gebiet. Sicher verging einige Zeit, ehe der Bestand wieder dermaßen üppig war, daß so sorglos wie bisher geschossen werden konnte. Der Herr der Leuchtenden Weiden mochte über reichlich Korn verfügen, aber sein Tierbestand war kläglich, gab es doch dort kaum Wälder. Zahlreiche Wirbelstürme brachten beinahe jeden Baum zu Fall, der es tatsächlich geschafft hatte, sich freudig der Sonne entgegenrecken zu können. Nicht einmal die Tierzucht gelang in jenem Reich.
„Ich kann und darf das nicht länger dulden! Nicht nur, daß sie die Siedlungen zerstören. Sie rauben uns die Männer! Wie sollen wir jemals Felder bestellen können, wenn uns die diejenigen fehlen, die dafür vonnöten sind?
Ruf die Krieger zusammen. Wir werden zurückfordern, was uns gehört!“
„Was, wenn sie sich weigern?“, wandte sein erster Berater ein. Auch die anderen Mitglieder des Rates waren auf die Antwort gespannt.
Ja, was dann? Der junge Mann war erst seit wenigen Tagen Herr dieser Gefilde, denn sein Vater lebte nun nicht mehr. Felgadas war kein Freund des Tötens. Wie aber sollte er reagieren, wenn sich der Gegner weigerte, die Gefangenen wieder herauszugeben? Es war so schon fast unmöglich den kargen Böden in den Senken etwas Getreide zu entlocken. Ohne die Männer jedoch ging es gar nicht mehr. Zudem, besser vor allem, waren es seine Schutzbefohlenen, er trug die Verantwortung für ihr Dasein.
Ein Lächeln huschte über die jungen Züge, als der Herr der Dunklen Höhen sich der wenigen Male erinnerte, wenn das Korn sich in Gemeinschaft aus der harten Erde befreien konnte. Die Freude hielt leider meist nicht lang, da tobende Sandstürme diesen schwer errungenen Erfolg viel zu schnell zunichte machten.
„Dann kämpfen wir. Sie haben uns nun oft genug provoziert. Lange haben wir Ruhe bewahrt, um nicht wieder Leid und Tod heraufzubeschwören. Aber jetzt reicht es! Rüstet euch, ruft zu den Waffen. In vier Tagen brechen wir auf. Bis dahin muß jeder verfügbare Mann hier eingetroffen sein.“ Wütend verließ er die Halle. Er hatte dem Wahnsinn ein Ende bereiten wollen, der seit vielen Generationen beide Lande plagte. Wieder und wieder hatte es Krieg zwischen ihnen gegeben. Und nun war auch er gezwungen, sich in die Reihe derer einzugliedern, die Blut an ihren Händen kleben hatten.
Die nächsten Tage waren von Hektik geprägt. Es wurde vorbereitet und zusammengepackt. Die Schmiede fanden reichlich Arbeit, denn nicht jeder der Herbeigerufenen verfügte auch über Waffen, geschweige denn eine Rüstung. Der Proviantmeister verteilte die Vorräte und der Stallmeister sorgte dafür, daß es den Pferden ebenfalls an nichts fehlte. Dann war es soweit. Der Morgen des vierten Tages sollte den Aufbruch sehen. Aber wieder einmal wurde der durch einen der heftigen Sandstürme zumindest verzögert.
„Schickt einen Boten. Sie lassen unsere Männer frei und wir ziehen wieder ab. Weigern sie sich, werden viele von ihnen die baldige Ernte nicht mehr erleben.“ Felgadas kehrte daraufhin mit seinen Begleitern ins Lager zurück, nicht ohne Späher vor den Mauern der anzugreifenden Burg zu belassen.

„Wie können sie es wagen, uns Forderungen zu stellen?! Zuerst plündern und morden sie. Und dann sind sie erbost, wenn wir einen Teil des Verlustes wettzumachen versuchen? Wie ich das Reich der Dunklen Höhen hasse! Von jeher bereiten sie nichts als Ärger, verbreiten Schrecken und Tod.
Nun, wie sie wollen. Sie werden ihren Kampf bekommen. Vielleicht sind wir in der Lage diesem Irrsinn endlich ein Ende zu bereiten, ihnen den vernichtenden Schlag zu versetzen.“ Brejenneg blickte herausfordernd zu seinen treuesten Beratern. Waren sie alle eins mit ihm? Sie nickten, bis auf einer. Es war ein alter Mann, der bereits Vater und Großvater mit Wort und Tat zur Seite gestanden hatte. Gerne wurde er als das Gewissen der Leuchtenden Weiden bezeichnet. Leicht schüttelte er seinen, mit weißem Haar bedeckten, Kopf.
„Mein Herr, seid Ihr sicher, daß es keinen anderen Weg gibt? Felgadas ist nicht sein Vater, der einen Kampf immer willkommen hieß. Versucht mit ihm zu reden. Er hört vielleicht zu.“
„Dazu hatte er Gelegenheit. Sie blieb ungenutzt. Nun muß er die Konsequenzen tragen. Er wird nicht in seine Lande zurückkehren.“
„Verzeiht meine Offenheit, aber womöglich seid Ihr es, der das Schlachtfeld nicht mehr verlassen wird. Der Sieg ist nicht gewiß.“
„Ich habe deine Worte gehört, heute jedoch helfen sie nicht weiter. Es bleibt dabei. Wir kämpfen. Ruft die Männer zusammen!“
Brejenneg stieg zum Wehrgang hinauf, um sich einen Überblick verschaffen zu können. Auf dem Weg dorthin dachte er noch einmal über die Worte des Greises nach. An seiner Meinung änderte dies dennoch nichts.
Dann hatte er endlich freie Sicht auf den Gegner. Wie hatten die es nur so schnell geschafft, so viele Krieger zu sammeln und zu bewaffnen? Das würde kein leichter Kampf. Und dessen Ausgang war alles andere als gewiß. Und doch, diese Schlacht galt es zu schlagen und nichts und niemand würden ihn davon abhalten, nicht einmal der beginnende Sturm. Der allerdings vermochte die Konfrontation noch hinauszuzögern, da er sich erneut zu einem der alles mitreißenden Orkane entwickelte. Erst am nächsten Tag war er so abgeflaut, daß daran zu denken war, die schützenden Mauern zu verlassen und in einen Kampf zu ziehen. Aber war der Gegner denn überhaupt noch da oder hatte er sich durch das Eingreifen der Natur vertreiben lassen?
„Sie scheinen ihren Fall nicht erwarten zu können. Gut gehen wir, ihnen die Freude des Untergangs zu geben.“ Der Fürst griff Schild und Schwert und eilte an die Spitze seiner Kämpfer.
„Mein Herr, sie senden einen Boten!“
„Was soll das denn noch? Es wurde alles gesagt.“
„Ich werde hören, was sie wollen. Der Kampf läuft uns sicher nicht davon mein Freund.“, griente Brejenneg einen jungen Mann neben sich an. „Öffnet das Tor!“ Kurz darauf war er durch die Passage nach draußen getreten. Ein Stück ging der Fürst dem Fremden entgegen, nur um bald unvermittelt innezuhalten.
„Man sagte mir ihr wäret Eurem Vater nicht ähnlich. Doch gleicht Ihr ihm im Aussehen.“, staunte der Herr der Leuchtenden Weiden.
„Das Äußere ist nicht ausschlaggebend. Es ist das Innere, was den Menschen ausmacht.“ Felgadas neigte leicht den Kopf vor seinem Gegenüber, der dies mit einem kaum merklichen Grinsen quittierte.
„Seid Ihr gekommen, um eure Waffen zu strecken? Ich nehme Eure Kapitulation gern entgegen. So muß kein Blut vergossen werden.“ Brejenneg frohlockte bereits, wurde allerdings enttäuscht.
„Nein, ich werde ganz sicher nicht einfach aufgeben. Ich bin aber erfreut zu hören, daß Euch ebenfalls sinnloses Blutvergießen keine Freude bereitet.“
„Wer sagt, daß es sinnlos ist? Euer Vater ließ meine Leute schlachten, als wären sie Vieh!“ Er war äußerst stark versucht, alle Gesetze zu ignorieren und dem Eindringling einfach den Kopf von den Schultern zu schlagen. Nur mühsam konnte er die Bilder von den vielen Getöteten niederringen. Äußerst schwer fiel es, den Geruch des Todes zu ignorieren, den er vor Monaten wahrnahm, als er über die blutgetränkte Erde lief und das Stöhnen und die Schreie der Verletzten in seine Ohren drang. Der Zorn drohte ihn beinah zu übermannen.
„Ich bin nicht mein Vater! Und seltenst hieß ich gut, was er tat. Doch oft genug hat Euer Vater oder zuletzt auch Ihr uns zum Handeln gezwungen. Ihr seid nicht minder Schuld an unser aller Lage, wie wir es sind.
Brejenneg, dies muß aufhören!“
„Seit Jahrhunderten dauert die Feindschaft nun schon an. Und Ihr glaubt allen Ernstes, daß Ihr dem durch ein paar Worte, die nicht einmal eine Entschuldigung enthalten, ein Ende bereiten könnt?! Ihr strapaziert meine Geduld jetzt ausreichend lange. Kehrt zu Euren Männern zurück oder ergebt Euch. Aber ich habe jetzt genug gehört.“
„Entschuldigtet Ihr Euch denn für all die Toten, das Leid und das Chaos, was Ihr hinterlassen habt?“
„Wir haben stets lediglich auf die Angriffe reagiert, die von Eurer Seite herrührten.“
„Das behauptete mein Vater und all seine Vorfahren ebenfalls.
Ich habe eine Frage an Euch. Erinnert Ihr Euch des Grundes, der zu unseren Zwistigkeiten führte? Ich habe lange gegrübelt, selbst in den alten Aufzeichnungen nachgelesen. Ich konnte nichts entdecken. Etwas jedoch habe ich bereits vor Jahren gefunden. Unser beider Lande sind mit einem Fluch beladen. Nicht, Ihr solltet nicht lachen. Unsere Länder wurden für Hochmut und Blutdurst bestraft. Die Leuchtenden Weiden sollen laut Aufzeichnungen Baumlos bleiben und von wirbelnden Stürmen bei jedem drohenden Unrecht heimgesucht werden. Die Dunklen Höhen hingegen werden kein Korn gedeihen lassen und der Sand wird alles vernichten, gedenken wir Leid zu verbreiten.
Wartet, ich bin noch nicht fertig. Als wir aufbrachen, gegen Euch zu ziehen, war es ein Sandsturm, der uns vorerst daran hinderte. Als wir dann hier eintrafen und Ihr Euch entschlossen habt, nicht auf mein Angebot einzugehen, sondern den Kampf vorzuziehen, was geschah da? Richtig. Ein Orkan versagte es Euch und Euren Männern sogleich gegen uns schlagen zu können. Gibt Euch das denn gar nicht zu denken? Was, wenn die Geschichten um einen Fluch nicht den Hirngespinsten unserer Ahnen entspringen, wenn er wahr ist?“
„Ich erinnere mich der Erzählungen. Aber so etwas wie Magie oder Flüche gibt es nicht mehr. Diese Zeitalter sind dunkelste und glücklicherweise längst überstandene Vergangenheit.“
„Ob Ihr daran glaubt oder nicht, wer sagt, daß es dergleichen wirklich nicht mehr gibt? Ich halte die beiden Stürme für ein Zeichen und bin bereit, dem zu folgen.“
„Und wie? Das würde mich schon interessieren.“
„Wir beenden die Fehde am heutigen Tag!“
„Felgadas Ihr scheint mir dem Wein bereits zu sehr zugesprochen zu haben. Wie wolltet Ihr das wohl bewerkstelligen?“
„Wir kämpfen.“, sagte der trocken, den Blick fest auf den etwas älteren Mann gegenüber gerichtet. Der kniff die Augen zusammen und begann zu lachen.
„Deshalb seid Ihr doch mit Eurer Heerschar hierher gekommen. Wäret Ihr nicht so redselig, wir könnten längst gegeneinander schlagen.“
„Ihr mißversteht mich. Wir kämpfen, nur wir beide.“
„Aha.“, ließ Brejenneg nach einem Moment des Überlegens hören. „Und dann, was geschieht, wenn einer von uns sterbend am Boden liegt? Dann werden seine Männer nicht ruhig stehen bleiben. Sie würden ihren Herren rächen, was auch ihrer Aufgabe entspräche. Der Kampf würde umso heftiger entbrennen.“
„Nicht wenn sie klare Befehle haben und wir die Zukunft auf einem Pergament festhalten, das von uns und unseren engsten Beratern unterzeichnet wird.“ Die beiden Fürsten musterten sich eindringlich. Meinte der Herr der Dunklen Höhen dies Angebot tatsächlich ernst? Sollte es wirklich eine Möglichkeit geben, den ständigen Kämpfen zu entgehen?
„Nur wir beide, niemand greift ein. Wenn doch, ist der Vertrag nicht wirksam. Auch das soll in ihm nachzulesen sein.“
„Ihr seid sehr mißtrauisch, Herr über alles Korn.“ Felgadas lächelte, konnte er dies doch sehr gut verstehen. Aber würde der Kontrahent denn überhaupt auf diesen Vorschlag eingehen? „Die beiden Fürsten kämpfen, niemand wird helfen, ansonsten werden die Bogenschützen zum Einsatz kommen, wenn es Euch recht ist.“, setzte er vorsichtig an.
„So soll es sein, Herr über die großen Wälder. Das Papier wird hier geschrieben.“
„Dann setze ich mich erneut Euren Schützen aus. Ihr verlangt sehr viel von mir.“
„Nicht minder als Ihr von mir.“
„Wir gehen beide ein hohes Risiko ein. Jedoch denke ich, daß es das auch wert ist. Die uns anvertrauten Menschen werden glücklich darüber sein.“
„Zumindest der siegreiche Teil.
Ihr würdet Euch mir wirklich völlig ausliefern, wenn Ihr verliert?“ Brejenneg hatte seine Zweifel. Allerdings besaß er eine gute Menschenkenntnis. Und gerade jetzt hatte er nicht das Gefühl in eine Falle zu laufen. Er war einverstanden und ließ nach einem Schreiber und seinen engsten Vertrauten schicken. Sein Gegenüber tat es ihm gleich.
„So wird der entscheidende Zweikampf morgen stattfinden. Die Herren mögen noch einmal ruhen und sich schließlich gegenübertreten, wenn die Sonne über jenem Hügel steht.“, sagte Krangaad, einer der Berater. Die Dokumente waren verfaßt und unterzeichnet. Die ersten Boten waren unterwegs, um diese Kunde durch die jeweiligen Gefilde zu tragen. Weitere Reiter würden am nächsten Tag aufbrechen. Dann verkündeten sie Sieg oder Niederlage.
Leichte Nebelschwaden zogen mit erwachen des Morgens über die grasbewachsenen Erhebungen und schlichen vorsichtig durch die Niederungen. Vögel begrüßten die aufsteigende Sonne, die rasch den Dunst vertrieben hatte. Alles schien friedlich, nicht anders als all die vorangegangene Zeit. Und doch lag eine Spannung in der Luft, die beinahe greifbar war.
Rasch öffnete sich das Tor, als die gleißende Scheibe am Himmel endlich hinter besagtem Hügel emporstieg. Der Herr der Burg erschien in Rüstung, jedoch lediglich mit einem Messer und seinem Schwert bewaffnet. Seinen Schild trug er an der linken Seite. Einen Augenblick nur mußte er warten, dann hatte sich auch Felgadas aus den Reihen der Seinen gelöst. Nicht viel unterschied die beiden Kämpfer, einzig die Machart von Kleidung und Waffen.
Kurz darauf standen sie einander gegenüber. Kräftig schlugen die Klingen gegen den Schutz, den beide nun über dem Arm trugen.
„So soll es also beginnen.“ Brejenneg machte sich für den ersten Schlagabtausch bereit.
„Nein, so möge es enden.“ Mit diesen Worten war alles gesagt. Augenblicklich hieb der Herr der Dunklen Höhen gegen seinen Widersacher. Der hatte jedoch damit gerechnet und parierte den Angriff mit seinem Schild. Gleichzeitig stieß er sein Schwert von unten in Richtung der Kehle seines Kontrahenten. Doch der hatte die Bewegung gesehen und sich rechtzeitig aus der Gefahrenzone herausgewunden. Einmal in der Drehung begriffen, nutzte Felgadas den Schwung aus. Aber auch jetzt fand er keinen Erfolg. So ging es zwischen den beiden Männern eine ganze Weile hin und her, ohne daß einer von ihnen einen entscheidenden Vorteil erzielen konnte.
„Ohne Schild, sonst kämpfen wir morgen noch.“, keuchte der Ältere. Der Andere nickte nur leicht. Gleich darauf hatten sie ihre Klingen mit beiden Händen gegriffen und gingen mit neuer Kraft in diese Auseinandersetzung. Hart schlugen die Waffen aufeinander. Die Wucht bebte in den Armen der Krieger nach. Aber beide hielten Stand. Sie lösten sich wieder voneinander, nur um erneut zuzuschlagen. Sie wirbelten über die immer noch feuchte Wiese, trieben sich in unverminderter Hast über das Areal. Felgadas rutschte ein wenig über das nasse Gras, konnte nicht wie gewollt reagieren. Mit schmerzverzerrtem Gesicht warf er einen Blick auf die aufgerissene Seite. Dies glaubte der Feind ausnutzen und den Kampf beenden zu können. Siegessicher hob er das Schwert, um den tödlichen Stoß zu versetzen. Nun aber war er es, der getroffen war.
„Ihr kämpft nicht fair! Ich hätte es wissen müssen.“, stöhnte Brejenneg. Ihm war schwindelig, die Knie wurden weich und sein Umfeld verschwamm vor seinen Augen.
„Ha, da beschwert sich der Richtige. Das Gift an Eurer Klinge hat den Kampf entschieden, nicht Euer Geschick!“ Wütend versuchte sich der Fürst der Dunklen Höhen auf den Beinen zu halten. Aber ihm erging es nicht anders als seinem Gegenüber. Schließlich stürzten beide gleichzeitig zu Boden. Und in dem Augenblick, da sie aufschlugen, schoß eine Nebelwolke nach oben. Rasend schnell breitete sie sich aus. Als die Krieger, die von der Burg und den Hügelketten aus zugesehen hatten, erreicht waren, wurden diese sogleich in Bewegungslosigkeit gefangen. Niemand war jetzt in der Lage eine Waffe zu führen. Die beiden Kämpfer allerdings durchdrangen die Erde und kamen letztlich in einem unterirdischen Gang zu liegen. Abgesehen von ihrer Verletzung ging es ihnen dort auch wieder gut. Nichts war von den Einschränkungen zurückgeblieben, die sie soeben noch verspürt hatten. Sie sprangen sofort auf die Füße.
„Was im Himmel war das?! Und wo sind wir?“
„Es gibt nur eine Erklärung. Ich fürchte, sie wird Euch nicht gefallen, da Ihr nicht daran glauben wollt.“ Felgadas versuchte etwas zu erkennen, was in der herrschenden Dunkelheit aber völlig aussichtslos war. Er tastete vorsichtig um sich, bis er schließlich eine Wand gefunden hatte. Dort verhielt er vorerst.
„Wenn der Beweis erbracht wird, sieht es mit dem Glauben plötzlich ganz anders aus. Was, außer Magie, hätte das soeben Geschehene wohl vollbringen können?“
„Mir stellt sich die Frage, was soll es bezwecken?“
„Muß es denn einen Grund dafür geben?“
„Ich denke schon Brejenneg.“ Er grübelte eine Weile. „Der Fluch sollte uns daran erinnern, daß ruhige, friedvolle Zeiten erstrebenswerter sind als kämpferische. Wir ignorierten die Zeichen und verbreiteten weiter Tod und Leid. Vielleicht wurden wir in dieses Dunkel geschickt, um ohne Ablenkung über unser Handeln nachdenken zu können.“
„Das wäre vergeudete Mühe. Unsere Männer sind sicher schon dabei, unseren Kampf fortzuführen. Die Fehde wird so nicht beendet, im Gegenteil.“
„Ist hier Magie am Werke, so wissen wir nicht, was andernorts geschieht.“ Der jüngere der beiden Männer hatte sich schon früher mit der Zauberei beschäftigt. In den Gewölben seiner Burg war er letztlich auf die Schriften gestoßen, die von dem Fluch sprachen. Er hatte daraufhin versucht möglichst viel über diese gefürchtete Gabe zu erfahren.
„So laßt uns herausfinden, ob es hier etwas zu entdecken gibt.“
„Es wäre hilfreich, könnten wir dabei etwas erkennen. Eine Fackel habt Ihr sicher ebenso wenig zur Hand wie ich? Kommt herüber zu mir, hier ist eine Wand, an der wir uns entlangtasten können.“
„Woher weiß ich, daß Ihr mich nicht in einen Abgrund stürzen laßt?“
„Könnt Ihr mir so gar nicht vertrauen, werden wir diesen finsteren Ort sicher nicht wieder verlassen. Wir kommen nur hier heraus, wenn wir gemeinsam einen Weg suchen.“
„Das ist Eure Meinung. Ich für meinen Teil möchte vielleicht in die andere Richtung gehen.“
„Himmel, Ihr macht es mir sehr schwer, unsere Zwistigkeiten vorerst zu vergessen. Aber bitte, dann geht meinetwegen vor und ich folge.“
„Für wie dumm haltet Ihr mich? Ich verspüre nicht das Bedürfnis, Euer Schwert im Rücken zu spüren.“ Noch im selben Augenblick schalt sich Brejenneg einen Narr. Die Gelegenheit für einen tödlichen Stoß hatte es schon längst gegeben. Es war der alte Haß, der hier erneut die Oberhand zu gewinnen drohte. „Verzeiht. Manchmal ist es schwer, das Vergangene ruhen zu lassen. Mir, nein uns allen, wurde von Kindheit an erzählt, welch böse Wut in euren Herzen schlägt. Dazu kamen die zahlreichen Übergriffe, die ein jeder miterlebte. Und nun lerne ich einen Mann von Ehre kennen, keinen blutrünstigen Mörder, der einzig nach meinem Leben trachtet.“
„So willigt Ihr ein, daß wir vorerst nicht gegeneinander schlagen?“
„Ja. Gehen wir und versuchen hier einen Weg herauszufinden.“ Die Worte waren kaum verklungen, als in einiger Entfernung ein Leuchten zu erkennen war. Es reichte gerade so aus, um erkennen zu können, wohin der Fuß gesetzt wurde. „Wir sollten vorsichtig bleiben, wissen wir doch nicht, was uns hier erwartet.“
Mit unliebsamen Überraschungen rechnend, folgten die Männer dem weder heller noch schwächer werdenden Licht. Nach einiger Zeit schienen sie ihr Ziel erreicht zu haben. Vor ihnen öffneten sich geräumige Gewölbe, die von kunstvoll gearbeiteten Säulen getragen wurden. Brejenneg schüttelte ungläubig den Kopf.
„Ich kenne diesen Ort. Bereits als Kind stieg ich unter unsere Burg um die dunklen Gänge und Hallen zu erkunden. Auch hier verweilte ich oft. Und doch ist es anders.“
„Worin besteht die Veränderung?“ Felgadas beobachtete den älteren Krieger. Unschlüssig und grübelnd verhielt der neben ihm. Dann ging er auf eine der Wände zu und streifte sanft mit den Fingern darüber. Ein leichter Hauch war zu spüren. Er zog ein wenig an den Haaren und glitt weiter. Langsam nahm er das Grau der Mauern mit sich fort, um diese in frischem Glanz erstrahlen zu lassen.
„Was ist das?“ Beide sahen erstaunt dem Spektakel zu und eilten dem Luftzug nach. Der hatte den Staub von Jahrhunderten und eine dicke Schicht uralter Farbe mit sich genommen. Nun zeigten sich den Betrachtern Wandbilder, die nie jemand zu Gesicht bekommen hatte.
„Das sind Kämpfe zwischen unseren Landen. Weshalb wurde dies aufgemalt?“
„Folgen wir den Bildern. Vielleicht werden wir dann mit Erkenntnis belohnt.“ Der Fürst der Leuchtenden Weiden ging weiter der Mauer nach, die mit wundervollen Bildern gestaltet war. Sein Kontrahent folgte. Gemeinsam hatten sie so das gesamte Gewölbe erkundet und waren endlich am Ursprung der Malereien angelangt. Kopfschüttelnd und mit Zorn in den Augen verhielten sie vor den ersten Bildern. Sie hatten hier die Antwort auf ihre Fragen vor sich. Hier war festgehalten, weshalb die tiefe Feindschaft entstand.
Einst waren beide Reiche um einiges größer als in den gegenwärtigen Tagen. Sie kamen gut miteinander aus, unterstützten sich sogar. Doch waren sie nicht allein. Die im Norden angrenzenden Gefilde wurden von einem machtgierigen König beherrscht, der es auf die südlicher gelegenen Lande abgesehen hatte. Durch Intrigen, Mord und Plünderungen brachte er beide dazu, an den Verrat des jeweils Anderes zu glauben. Leider hatte er dabei recht leichtes Spiel. Keine der beiden Seiten verstand es hinter das Offensichtliche zu schauen. Keiner vermochte es, das Geschehen zu hinterfragen. So entstand eine tiefe Feindschaft, die die Zeiten überdauerte, obgleich sich der Norden längst zurückgezogen hatte, war er doch ebenfalls in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt und letztlich geschlagen. Zurück blieben Chaos und Tod, weil einer einfachen Antwort Glauben geschenkt wurde, sich niemand die Mühe machte, nach der Wahrheit zu suchen.
„Verrat.“ Mehr brachte Felgadas vorerst nicht über die Lippen.
„Ja, Verrat. Und das nicht einmal durch eine unserer Seiten. Unsere Vorfahren müssen blind und taub gewesen sein.“
„Das denke ich nicht. Der Feind war vorsichtig und schlau, als er sie gegeneinander hetzte.“ Sie verhielten noch einige Zeit in Stille, immer wieder die Bilder der Vergangenheit betrachtend. Und dann begannen sie zu lächeln. „Keiner von uns ist schuld. Diese Fehde bestand tatsächlich zu Unrecht. Brejenneg, wir haben die Wahrheit nun gesehen. Leider können wir all das Unrecht und den Tod nicht ungeschehen machen. Aber wir können zukünftiges Unheil verhindern. Wir beide können den Anfang machen.“
„All die Jahre. All die vielen Jahre lag die Antwort hier vor unseren Augen. Und keiner meiner Ahnen oder ich haben sie gesehen.“
„Nun, wir haben sie jetzt gefunden. Und ich denke, zuvor konnte sie nicht entdeckt werden, weil sie niemanden interessierte. Jeder hat die alten Erzählungen als Fakten gesehen. Niemand machte sich die Mühe nachzuprüfen, ob es auch an dem war. Wir haben endlich die Chance erhalten, dies zu ändern, denn wir sind bereit dazu.“
„Ja Felgadas, das bin ich.“
Die beiden Männer, die als Feinde einander begegneten, kehrten nun friedlich zu ihren Männern zurück, die augenblicklich aus ihrer Starre befreit waren. Die Fürsten wußten, daß sie die Gelegenheit hatten, dem Fluch ihres Landes ein Ende zu bereiten, ebenso wie einer unsinnigen Fehde. Beide ahnten jedoch, daß sie dabei nicht jeden glücklich machten, daß manch einer ihren Berichten keinen Glauben schenken würde. Brejenneg ließ daher den Weg zu den Gewölben öffnen. Ein jeder sollte sich überzeugen können. Nichts durfte wieder in Vergessenheit geraten.
Und so wurde aus Feindschaft ein Waffenstillstand errungen, der nicht lange hielt. Denn beide Seiten entschlossen sich sehr rasch, einen Friedensvertrag einzugehen. Der zog schon bald einen regen Handel nach sich. Die einst verfeindeten Lande näherten sich einander an, begannen sich wieder zu helfen. Nach einiger Zeit stellten die Herren der Dunklen Höhen und der Leuchtenden Weiden erfreut fest, daß es seit Monaten keine Stürme mehr gegeben hatte.
„Wir sind auf dem richtigen Weg mein Freund.“, lachte Felgadas seinen einstigen Gegner an. Sie hatten sich die Chance gegeben, den Anderen kennen und schätzen zu lernen, dabei auch seine Eigenheiten zu akzeptieren. Und da beide dies konnten, waren unterdessen sogar die ersten Keime einer Freundschaft zu erkennen.
Die Zukunft hielt für beide Reiche sicher nicht einzig glückliche Zeiten bereit. Aber Not und Elend waren bei weitem nicht mehr so oft anzutreffen, wie in früheren Tagen. Denn die Mehrzahl beider Völker war endlich bereit zuzuhören und auch Fragen zu stellen, bahnte sich Ärger an. Überrascht stellte der überwiegende Teil fest, daß mit reden vieles entschieden werden konnte, was früher einzig durch das Schwert geregelt wurde. Nicht immer mußten sie in der folgenden Zeit ihre Grenzen, gegenüber Dritten, mit Waffengewalt verteidigen. Sie hatten gelernt gemeinsam Probleme lösen zu können.


Cornelia Sandrock

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert